Blindennotizgerät

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Der Begriff Blindennotizgerät (auch Blindennotizsystem; englisch: Note Taker) ist eine Sammelbezeichnung für eine äußerst heterogene Gruppe computerunabhängiger elektronischer Spezialgeräte, denen gemeinsam ist, dass sie blinden Menschen das ortsunabhängige Anfertigen und Bearbeiten von Notizen aller Art ermöglichen. Dabei geht der Funktionsumfang des typischen Blindennotizgeräts weit über die reine Textverarbeitung hinaus. Je nach Modell werden zusätzlich Kontakt-, Termin- und Dateiverwaltung, Stoppuhr- und Weckerfunktionen, Taschenrechner, Tabellenkalkulation, Datenbanken, Mediaplayer, ein E-Mail-Programm, ein Browser sowie verschiedene andere Internet-Anwendung wie Recherche, Internetradio, Online-Wörterbücher, soziale Netzwerke etc. angeboten.

Dem Ablegen und Archivieren der Daten dient einerseits ein interner Speicher, andererseits sind die meisten Blindennotizgeräte mit einem Einschub für Speicherkarten ausgestattet. Für den netzunabhängigen mobilen Einsatz verfügen sämtliche Blindennotizgeräte serienmäßig über eingebaute Akkus. Bei einigen Modellen können diese nicht vom Benutzer getauscht werden. Der kabelgebundene oder kabellose Datenaustausch mit einem Computer ist in begrenztem Umfang möglich. Einige Geräte unterstützen den direkten Anschluss an einen Brailledrucker, um die angefertigten Notizen unmittelbar in auf Papier geprägter tastbarer Blindenschrift ausgeben zu können.

Beim klassischen Blindennotizgerät handelt es sich um ein sogenanntes „geschlossenes System“. Dies bedeutet, dass Anwender den gebotenen Funktionsumfang nicht beeinflussen können, weil kein direkter Zugriff auf das Betriebssystem des Gerätes möglich ist. Im Gegensatz zu Computern, Smartphones und Tablets, deren Funktionalität mit Hilfe von Programmen bzw. Apps nahezu beliebig ausgebaut werden kann, sind die Einsatzmöglichkeiten eines Blindennotizgeräts vom Hersteller fest vorgegeben und nur durch diesen über Software-Updates erweiterbar.

Die Vielfalt der Blindennotizsysteme kommt dadurch zustande, dass die folgenden Gerätemerkmale im Grunde frei miteinander kombinierbar sind:

  • Eingabemöglichkeiten:
    • Kann am Gerät Blindenschrift direkt über eine Brailletastatur eingegeben werden oder
    • ist zur Eingabe die leicht verkleinerte Version einer handelsüblichen PC-Eingabetastatur vorhanden oder
    • sind die Eingabetastaturen als mobile, austauschbare Aufsätze realisiert, so dass je nach Wunsch zwischen einer Brailletastatur und einer handelsüblichen PC-Eingabetastatur gewechselt werden kann oder
    • verfügt das Gerät zusätzlich zur Tastatureingabe über einen berührungsempfindlichen Bildschirm (Touchscreen), der die Eingabe mittels Finger-Gesten ermöglicht?
  • Ausgabemöglichkeiten:
    • Ist als einzige Ausgabemöglichkeit eine integrierte Braillezeile vorhanden, so dass die Möglichkeit der direkten Ausgabe von Blindenschrift besteht oder
    • verfügt das Gerät als einzige Ausgabemöglichkeit über eine Sprachausgabe, die über einen eingebauten Lautsprecher oder angeschlossene Kopfhörer wiedergegeben wird oder
    • sind beide Ausgabemöglichkeiten - Braille und Sprache - vorhanden?

Unter diesen zahlreichen Ausstattungskombinationen, von denen die meisten im Laufe der Zeit einmal realisiert wurden, hat eine Merkmalskombination in der Praxis besondere Bedeutung erlangt: Die sogenannten Braille-Organizer. Dies sind Blindennotizgeräte, die zur Eingabe mit einer Brailletastatur und zur Ausgabe sowohl mit einer Sprachausgabe als auch mit einer Brailleausgabe ausgestattet sind.

Im hierarchisch gegliederten Hilfsmittelverzeichnis der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Hilfsmittelverzeichnis) sind Blindennotizgeräte in der Produktgruppe 07 Blindenhilfsmittel, Anwendungsort 07.99 ohne speziellen Anwendungsort/Zusätze, Untergruppe 07.99.04 Elektronische Systeme zur Informationsverarbeitung und Informationsausgabe für Blinde in der Produktart 07.99.04.0 Mobile elektronische Informationsverarbeitungsgeräte gelistet.

Bauformen

Länge und Breite eines Blindennotizgeräts müssen mindestens so gewählt sein, dass eine ergonomische Braille-Eingabetastatur auf der Geräteoberseite Platz findet. Ist das Notizsystem mit einer integrierten Braillezeile ausgestattet, so umfasst die Brailleschriftausgabe in der Regel maximal zwischen 18 und 32 Zeichen, damit das Gerät nur unwesentlich breiter wird. Zu den größten Blindennotizgeräten gehören solche, die über eine vollwertige Computereingabetastatur (QWERTZ-Tastatur) verfügen. Auf einer handelsüblichen QWERTZ-Tastatur ohne Ziffernblock befinden sich immerhin 88 Tasten, die für eine ergonomische Texteingabe nicht beliebig klein gestaltet werden können.

Sonderformen

Klassische Blindennotizgeräte sind keine vollwertigen Computer. Aufgrund der fortschreitenden Miniaturisierung ist es jedoch mittlerweile möglich, komplette Computersysteme in Form kleiner Module zu konstruieren, die an eine beim blinden Anwender bereits vorhandene Braillezeile mit integrierter Brailletastatur fest angeflanscht werden können. Auf diese Weise entsteht ein vollwertiger PC mit integrierter Braillezeile. Dieser muss dann allerdings komplett über die Brailletastatur gesteuert werden, was bei einem ausgeklügelten Befehlskonzept jedoch problemlos praktisch umsetzbar ist. Ebenfalls konstruiert wurden Notebooks mit fest verbundener Braillezeile. Daraus entsteht ein mobiles Computersystem, dass sich mittels der üblichen QWERTZ-Tastatur steuern lässt.

Einsatzbereiche

Im Prinzip wird das Leistungsspektrum eines Blindennotizsystems von PCs, Notebooks, Smartphones und Tabletcomputern voll abgedeckt. Blindenspezifische Notizsysteme sind aus den folgenden Gründen jedoch nach wie vor sowohl im privaten wie im beruflichen Bereich weit verbreitet:

  • Insbesondere die mit Braille-Ein- und -ausgabe ausgestatteten Braille-Organizer sind von Ergonomie und Bedienkonzept her speziell auf die Arbeitsweise blinder Menschen hin angepasst. Während blinde Anwender sich zur Bedienung eines Computers mit zweierlei Bedienphilosophien - derjenigen des Betriebssystems und derjenigen des eingesetzten Screenreaders - vertraut machen müssen, lässt sich die Nutzung eines Blindennotizgeräts leicht und schnell erlernen, weil sie anwendungsübergreifend einer durchgehenden Systematik folgt.
  • Ein Blindennotizgerät ist „schnell zur Hand“: Blindennotizsysteme eignen sich dazu, das Zücken von Zettel und Stift eines sehenden Menschen zum Anfertigen einer „schnellen Notiz“ nachzubilden. Ein im „Standby“ befindlicher Braille-Organizer ist binnen einer Sekunde einsatzbereit.
  • An PC-Systemen bestehen die Eingabe-Einheit in Form der Tastatur, die zentrale Rechen-Einheit in Form des Computers bzw. Laptops sowie die Ausgabe-Einheit als Sprachausgabe oder Braillezeile in der Regel aus drei verschiedenen Geräten, die kabelgebunden oder kabellos miteinander kommunizieren. Ein Braille-Organizer versammelt all diese Komponenten in einem Gehäuse.

Weiterführende Informationen

  • Ein Beispiel für einen vollwertigen Kleinst-PC auf der Basis von Microsoft Windows 10 mit angeflanschter Braillezeile ist das ELBraille. Weitere Informationen zu dieser Gerätefamilie finden sich beispielsweise auf der Webseite der Firma Protak unter https://protak.net/produkte/elbraille/.