Retinitis pigmentosa (RP)

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Simulation eines RP-Vius (sog. Tunnelblick)

Unter Retinitis pigmentosa, die auch als Retinopathia pigmentosa bezeichnet und mit RP abgekürzt wird, versteht man eine Gruppe degenerativer Netzhauterkrankungen, bei denen die lichtempfindlichen Sinneszellen der Netzhaut nach und nach absterben. Dabei sind meist zunächst die für das Hell-Dunkel-Sehen verantwortlichen Stäbchen in den Netzhaut-Randbereichen betroffen. Blendempfindlichkeit, Nachtblindheit, Schwierigkeiten bei der Anpassung an unterschiedliche Lichtverhältnisse sowie die typische kreisförmige Gesichtsfeldeinschränkung zum sogenannten „Tunnel-„ bzw. „Flintenröhrenblick“ gehören zu den charakteristischen Symptomen. Dabei bleibt das „erkennende“ Sehen - und damit die Fähigkeit zu Lesen sowie Personen und Gegenstände bei direktem Anschauen zu identifizieren, oft noch lange erhalten, während „Orientierungssehen“ kaum noch möglich ist. In welchem Lebensalter die RP einsetzt, wie schnell sie fortschreitet und wie genau sie verläuft, variiert jedoch stark zwischen den zahlreichen einzelnen Unterformen. Einige Formen der RP sind erblich, andere treten durch spontane Genmutation auf. Die Retinitis pigmentosa kann aufgrund eines mitunter jahrzehntelangen Fortschreitens zur vollständigen Erblindung führen. Sie ist derzeit nicht heilbar - lediglich bei speziellen Unterformen lässt sich der Krankheitsverlauf mit Hilfe genau abgestimmter Maßnahmen zum Stillstand bringen.


Ursachen

Das Umwandeln von Lichtreizen zu Sinnesinformation in den Sehzellen (Photorezeptoren) der Netzhaut ist ein komplexer physikalisch-chemischer Prozess. Damit dieser reibungslos ablaufen kann, werden zahlreiche Proteine (Eiweiße) benötigt, die der menschliche Körper selbst herstellt. Die „Baupläne“ für diese Proteine sind in den Erbanlagen, den Genen, verankert.
Bei der Retinitis pigmentosa ist mindestens eines der Gene für den Bauplan eines der in den Lichtsinneszellen der Netzhaut benötigten Proteine defekt. Auf der Basis des falschen Bauplans entsteht dann ein fehlerhaftes Eiweiß, das seine Funktion in den Lichtsinneszellen nicht erfüllen kann. Dies führt dort zu Stoffwechselstörungen, in deren Folge es zu krankhaften strukturellen Veränderungen in den Photorezeptoren kommt. Dadurch werden diese Zellen geschädigt, sterben und werden schließlich vom Körper abgebaut. Von der Tatsache, welches Gen verändert ist hängt es ab, wo und wie schnell in der Netzhaut welche Zellen degenerieren.

Der Aufbau der Netzhaut

Oft wird die Netzhaut mit dem Film bzw. dem lichtempfindlichen Chip einer Kamera verglichen, weil ihre lichtempfindlichen Sinneszellen (Photorezeptoren) ein optische Abbildung liefern, aus dem im Gehirn eine visuelle Wahrnehmung entsteht. Dabei bleibt unberücksichtigt, dass die Netzhaut die visuelle Information bereits intensiv vorverarbeitet. Nur So wird aber ihr Aufbau aus - vereinfacht dargestellt - vier Schichten verständlich, die man sinnvollerweise von der lichtabgewandten Seite aus, also von hinten nach vorne - betrachtet:

  1. Retinales Pigmentepithel (RPE): Ein zur Netzhaut gehörendes (retinales), durch eingelagerte Farbstoffe (Pigmente) gefärbtes Deck-Gewebe (Epithel), Das bei der Nährstoffversorgung und dem Abtransport von Stoffwechselabfällen der Netzhaut eine wichtige Rolle spielt.
  2. Die Schicht der Lichtsinneszellen (Photorezeptoren), die sich somit erstaunlicherweise nicht vorne, sondern eher auf der lichtabgewandten Seite der Netzhaut befindet. Die Photorezeptoren wandeln Lichtreize in elektrische Sinneserregung um.
  3. Die Schicht der Bipolarzellen: Sie transportiert die elektrische Sinneserregung von den Photorezeptoren zur weiter vorne gelegenen Schicht der Ganglienzellen.
  4. Die Schicht der Ganglienzellen: Ganglienzellen sind Nervenzellen, die sich bündeln, um dann als Sehnerv die Sinnesinformation vom Auge zum Gehirn zu leiten.

Die Lichtsinneszellen

Zwei Arten von Sehsinneszellen - Zapfen und Stäbchen - sorgen für die Umwandlung von Lichtreizen in elektrische Sinnesinformation. Während die Zapfen vor Allem für das Sehen von Farben und Details zuständig und bei hellem Tageslicht aktiv sind, vermitteln die Stäbchen die Wahrnehmung von Helligkeit, Kontrast sowie bewegung und arbeiten bei dunkleren Lichtverhältnissen, beispielsweise in der Dämmerung. Die Randbereiche der Netzhaut versorgen das äußere (periphere) Gesichtsfeld mit Sinnesinformation. Dort gibt es fast ausschließlich Stäbchen, weshalb diese Region für das „Orientierungssehen“ von entscheidender Bedeutung ist. In der Mitte der Netzhaut befindet sich mit dem „gelben Fleck“ (der Makula) die Region, die die Sinnesinformation für das mittig gelegene (zentrale) Gesichtsfeld liefert. Die Makula ist die Stelle des schärfsten Sehens, weil dort die Dichte der Photorezeptoren am Größten ist. In der Makula finden sich allerdings nur Zapfen. Darum ist das zentrale Gesichtsfeld für das Erkennen von Details und Farben bei Tage zuständig.

Formen und Verläufe

Die zahlreichen Unter- und Sonderformen der RP werden meist in drei Gruppen eingeteilt:

  • Bei der primären Retinitis Pigmentosa, die etwa 90 % der Fälle ausmacht, sind die Schädigungen der Sehzellen nicht auf andere Erkrankungen zurückzuführen, sondern das Ergebnis RP-typischer Gen- und Eiweißdefekte.
  • Bei der assoziierten Retinitis Pigmentosa liegen zusätzlich auch in anderen Organen Krankheiten vor. So ist beim Usher-Syndrom neben dem Sehen das Hören durch eine angeborene Innenohrschwerhörigkeit beeinträchtigt, beim Bardet-Biedl-Syndrom können u. A. überzählige Finger und Zehen, Nierenerkrankungen, Fettleibigkeit, geistige Retardierung und Fehlbildungen der Geschlechtsorgane auftreten.
  • Bei der Pseudo-Retinitis pigmentosa lösen nicht-erbliche Erkrankungen wie Medikamentenvergiftungen oder Entzündungen die gleichen Symptome hervor wie die RP.

Neben dem typischen Verlauf der RP „von außen nach innen“ gibt es auch „inverse Formen“, bei denen zuerst die Netzhautmitte und damit das Detail- und Farbsehen beeinträchtigt wird.

Symptome und Auswirkungen auf das Sehvermögen

Die Retinitis pigmentosa ist durch folgende Symptome gekennzeichnet:

  • Eine von außen nach innen fortschreitende Einengung des Gesichtsfeldes bis zum Tunnel- bzw. Flintenröhrenblick. Anfänglich werden die Gesichtsfeldausfälle kaum bemerkt, da das Gehirn die Stellen der Gesichtsfeldausfälle mit plausiblen Informationen ausfüllt - genauso wie es dies mit dem natürlichen „blinden Fleck“ tut. Erst bei häufigeren Zusammenstößen oder (Beinahe)unfällen im Straßenverkehr wird den Patienten bewusst, dass sie in bestimmten äußeren Bereichen ihres Gesichtsfelds Ausfälle haben.
  • Gestörtes Dämmerungssehen und Nachtblindheit tritt hinzu, weil die in den äußeren Netzhautregionen vertretenen, für das Dämmerungssehen zuständigen Stäbchen noch vor den für das Farbsehen verantwortlichen Zapfen geschädigt werden. Hierdurch sind die Betroffenen vor allem in ihrer Mobilität eingeschränkt.
  • Stäbchen und Zapfen arbeiten nicht nur bei unterschiedlichen Lichtintensitäten - sie brauchen auch unterschiedlich lange, um sich an geänderte Lichtverhältnisse anzupassen. Entsprechend fällt es Betroffenen bei zunehmendem Ausfall der Stäbchen immer schwerer, sich beim Wechsel von helleren zu dunkleren Umgebungen und umgekehrt an die geänderten Lichtverhältnisse zu gewöhnen.
  • Betreffen die RP-bedingten Netzhautschädigungen auch die Netzhautmitte, kommt es zu einer drastischen Verminderung der Sehschärfe und des Farbsehvermögens. Das Lesen mit den Augen und das Erkennen von Personen und Gegenständen fällt immer schwerer.

Etwa 50 % der RP-Betroffenen entwickeln einen zusätzlich einen grauen Star, also eine Linsentrübung, wodurch vor allem Symptome wie Blendempfindlichkeit und vermindertes Kontrastsehen verstärkt werden. Eine Staroperation (die Entfernung der getrübten Augenlinse und der Ersatz durch eine Kunstlinse) führen zu subjektiven und objektiven Verbesserungen der Sehfähigkeit.

Nützliche Hilfsmittel und Arbeitstechniken

Behandlung

Da die RP eine Gruppe verschiedener Erberkrankungen darstellt, bestünde die wirksamste Behandlung in einer Gentherapie. Gentherapien befinden sich derzeit jedoch erst im Forschungsstadium.

Drei Unterformen der RP (Refsum-Syndrom, Bassen-Kornzweig-Syndrom und Atrophia gyrata) liegen Stoffwechselstörungen zugrunde. Mit entsprechenden Diäten lässt sich das Fortschreiten der Erkrankung aufhalten.

Abgesehen von Gentherapien gibt es zahlreiche Behandlungsansätze, von denen hier nur wenige beispielhaft erwähnt seien:

  • Verhindern, dass die Lichtsinneszellen absterben: Bewahrung der Photorezeptoren vor dem programmierten Zelltod, Prävention durch Verzehr von Ernährungszusätzen...
  • Ersatz der degenerierten Photorezeptoren durch elektronische Netzhautprothesen.

Zahlen und Fakten

Weltweit sind schätzungsweise 3 Mio. Menschen von RP betroffen; in Deutschland sind es ca.40 000 Personen.

Weiterführende Informationen

Augenheilkundliches Hintergrundwissen

Selbsthilfeorganisationen

Filme und Simulationen

Broschüren

PRO RETINA Deutschland e. V.