Netzhautdystrophien

Unter dem Begriff Netzhautdystrophien werden alle erblichen (hereditären) degenerativen Erkrankungen der Netzhaut zusammengefasst. Eine Dystrophie ist wörtlich genommen eine Mangelernährung oder Mangelversorgung. Art und Ausmaß der durch eine Netzhautdystrophie verursachten Seheinschränkungen sind vor Allem davon abhängig, ob die Dystrophie nur die Randbereiche, nur die Mitte der Netzhaut oder beide Regionen betrifft:

  • Dystrophien, deren Auswirkungen sich auf die Mitte der Netzhaut beschränken, verursachen einen massiven Verlust der Sehschärfe sowie komplette Ausfälle im zentralen Gesichtsfeld und betreffen somit die Fähigkeiten der Fahrzeugführung, des Lesens sowie des klaren und deutlichen Erfassens von Gegenständen und Personen. Weitere Symptome sind Störungen oder Komplettausfall der Farbwahrnehmung und eine hohe Blendungsempfindlichkeit. Da die Randbereiche der Netzhaut intakt bleiben, sind die Außenbereiche des Gesichtsfelds unbeeinträchtigt, und ein „orientierendes Sehen“ bleibt oft lebenslang möglich. Beispiele für derartige Netzhautdystrophien sind die diabetische Makulopathie, der Morbus Stargardt und der Morbus Best.
  • Betrifft eine Netzhautdystrophie hauptsächlich oder ausschließlich die Randbereiche der Netzhaut, ist eine Einengung des Gesichtsfelds bis hin zum sogenannten Flintenröhrenblick (Tunnelblick) das Leitsymptom. Während mit dem zentralen Gesichtsfeld weiterhin zufriedenstellend gearbeitet werden kann, geht das „orientierende Sehen“ verloren. Beispiele für derartige Netzhautdystrophien sind viele Formen der Retinitis pigmentosa.

Aufbau der Netzhaut

Die unterschiedlichen Auswirkungen der beiden Arten von Netzhautdystrophien lassen sich leicht verstehen, wenn man sich den Aufbau der Netzhaut vergegenwärtigt: Die Netzhaut beherbergt zwei unterschiedliche Typen von Sehzellen:

  • Die für das Dämmerungssehen und das Erkennen von Bewegung verantwortlichen Stäbchen finden sich vor allem in den Randbereichen,
  • die für das Detail- und Farbensehen bei Tage verantwortlichen Zapfen besiedeln fast ausschließlich die Netzhautmitte. Die Netzhautmitte (Makula) ist somit die Region des scharfen Sehens. Dystrophien, die sich auf den Zentralbereich der Netzhaut beschränken, werden deshalb auch als Makuladystrophien bezeichnet. In der Regel machen sich Makuladystrophien bereits im Jugend- und jungen Erwachsenenalter bemerkbar; man nennt sie darum auch juvenile Makuladystrophien.

Ursachen

Bei einer Netzhautdystrophie ist mindestens eine Art von Sehzellen - also Zapfen und/oder Stäbchen - mangelernährt. Die Unterernährung hat ihre Ursache in genetisch bedingten Stoffwechselstörungen der Netzhaut. Entweder können Nährstoffe, die die Sehzellen zur Aufrechterhaltung ihrer Funktion benötigen, nicht gebildet werden oder die bei ihrem Stoffwechsel anfallenden Abfallprodukte werden nicht abtransportiert, häufen sich in der Netzhaut an und „vergiften“ anschaulich gesprochen die Sehzellen. Beide Umstände führen zum Verkümmern und Absterben - also zur Degeneration der Zellen, deren Überreste schließlich vom Immunsystem des Körpers beseitigt werden.

Neben der eigentlichen Mangelernährung kann ein weiterer Umstand die Netzhaut zusätzlich schädigen: Gewissermaßen als SOS-Signal schütten die unterversorgten Sehzellen einen chemischen Botenstoff aus, der das Wachstum neuer Blutgefäße anregt. Diese Substanz ist der Vascular Endothelial Growth Factor (VEGF). Was als Anstoß eines Reparaturmechanismus gedacht ist, erweist sich in der Praxis jedoch umgangssprachlich ausgedrückt als Bärendienst: Die neu gebildeten Gefäße sind von Anfang an minderwertig und schadhaft. Sie wuchern unkontrolliert in die Netzhaut - nicht selten auch darüber hinaus in den Glaskörper und im Extremfall sogar durch die Pupille hindurch in die vordere Augenkammer. Dadurch kann als Folgeerkrankung einer Netzhautdystrophie etwa ein grüner Star oder ein grauer Star entstehen. Außerdem sind die neuen Blutgefäße porös, so dass Gewebsflüssigkeit und Blut aus ihnen austritt. Die dadurch verursachten Schwellungen (Ödeme) und die Einblutungen in die Netzhaut führen ihrerseits zur Schädigung der Sehzellen.