Netzhaut-Ablösung

Die Netzhaut-Ablösung (Ablatio Retinae, Amotio Retinae) ist ein medizinischer Notfall, bei dem die beiden innersten Schichten der Netzhaut - die Schicht der lichtempfindlichen Sinneszellen und die sie ernährende darunterliegende Schicht der Pigmentzellen - voneinander getrennt werden. Ein mehr oder weniger großer Teil der Sehzellen ist dadurch von der Nährstoff- und Sauerstoffzufuhr abgeschnitten und kann irreparabel geschädigt werden, falls es nicht rechtzeitig gelingt, die beiden Netzhautschichten wieder flächendeckend miteinander in Kontakt zu bringen. Deshalb kann eine nicht oder erfolglos behandelte Netzhaut-Ablösung zu bleibenden Seheinschränkungen und sogar bis zur Erblindung führen. Risikofaktoren sind eine hohe Kurzsichtigkeit, eine Netzhautablösung am anderen Auge, Fälle von Netzhautablösungen unter nahen Verwandten sowie vorausgehende Operationen des grauen Stars. Eine Netzhautablösung kann - wie das Makulaforamen - auch Folge einer abnormal verlaufenden Glaskörperabhebung oder einer Augenverletzung sein.

Aufbau des hinteren Augenabschnitts

Wie eine Tapete kleidet die Netzhaut (Retina) die Innenseite des rückwärtigen Augenabschnitts aus. Der Bau der Netzhaut lässt sich - anatomisch stark vereinfacht - in vier verschiedenen Schichten veranschaulichen. Zum Verständnis der Vorgänge bei einer Netzhaut-Ablösung reicht die Betrachtung der beiden hintersten lichtabgewandten Schichten aus:

  1. Die Versorgungszell-Schicht (retinales Pigmentepithel, RPE): Ein zur Netzhaut gehörendes (retinales), durch eingelagerte Farbstoffe (Pigmente) gefärbtes Deck-Gewebe (Epithel). Diese hinterste Netzhautschicht spielt bei der Nährstoffversorgung und dem Abtransport von Stoffwechselabfällen der Netzhaut eine wesentliche Rolle und grenzt die Netzhaut gleichzeitig gegen die dahinterliegende, stark durchblutete Aderhaut ab.
  2. Die Lichtsinneszell-Schicht (Neuroretina): Sie liegt vor dem RPE und beherbergt die zwei verschiedenen Typen von Sehzellen (Photorezeptoren), die sich somit erstaunlicherweise nicht vorne, sondern eher auf der lichtabgewandten Seite der Netzhaut befinden. Die Photorezeptoren (Zapfen und Stäbchen) wandeln Lichtreize in elektrische Sinneserregung um.

Die Netzhautschicht der Photorezeptoren ist nicht über die gesamte Fläche fest mit ihrer Unterlage, dem sie ernährenden Pigmentepithel, verbunden, sondern nur an zwei Stellen: Zum Einen vorne im Bereich des Übergangs zwischen Regenbogenhaut und Netzhaut, zum Anderen in der nähe der Papille - der Region, in der der Sehnerv das Auge Richtung Gehirn durch ein Loch in der Lederhaut verlässt. Die Tatsache, dass im intakten Auge Sehzell- und Pigmentzell-Schicht aneinander haften beruht in erster Linie auf einer aktiven Saug-Wirkung des Pigmentepithels, das in einem flüssigkeitsgefüllten Spalt zwischen Pigment- und Sehzellschicht einen dauernden Unterdruck erzeugt. Zusätzlich übt der der Netzhaut vorgelagerte Glaskörper, eine klare, gelartige Masse, von vorne her einen sanften Druck auf die Netzhaut aus.

Ursachen und Formen

Es werden riss-bedingte, ablagerungs-bedingte und zug-bedingte Netzhaut-Ablösungen unterschieden:

  1. Rissbedingte Netzhaut-Ablösung: Der Glaskörper, der den Raum zwischen der Hinterfläche der Linse und der Vorderfläche der Netzhaut ausfüllt, besteht zu 98 % aus Wasser und zu 2 % aus Kollagenfasern und Hyaluronsäure. Durch feinste Kollagen-Stränge ist der Glaskörper mit der netzhaut verbunden. Mit fortschreitendem Lebensalter verdichten und verkürzen sich die Kollagenfasern. Im laufe des Lebens kommt es dadurch zu einer natürlichen Ablösung der Hinterfläche des Glaskörpers von der Netzhaut (hintere Glaskörperabhebung). Bleibt jedoch ein Rest des Glaskörpers an der Netzhaut haften, kann die Netzhaut reißen. Glaskörperflüssigkeit kann die Netzhautschicht der Lichtempfindlichen Sinneszellen unterspülen und sie dadurch vom darunterliegenden Pigmentepithel abheben - es kommt zu einer riss-bedingten Netzhaut-Ablösung.
  2. Ablagerungs-bedingte Netzhaut-Ablösung: Sowohl im Verlauf einer Diabetischen Retinopathie als auch bei der feuchten Form der Altersabhängigen Makula-Degeneration kommt es zu einer krankhaften Neubildung von Gefäßen unter und in der Netzhaut: Die neu gebildeten Blutgefäße sind porös. Sie „schwitzen“ Flüssigkeit und fetthaltige Ablagerungen - sogenannte Exsudate - aus. Die Exsudate können sich unter und in der Netzhaut ansammeln und zu einer Abhebung der Lichtsinneszell-Schicht vom retinalen Pigmentepithel führen. In diesem Fall wird die Netzhaut-Ablösung als ablagerungs-bedingt oder exsudativ bezeichnet.
  3. Zug-bedingte Netzhaut-Ablösung: Insbesondere in Spätstadien der Diabetischen Retinopathie kann die krankhafte Gefäßneubildung nicht nur exsudativ, sondern auf eine weitere Art zu einer Netzhaut-Ablösung führen: Die neu gebildeten Blutgefäße können bis in den Glaskörper einwuchern. Diese von Beginn an schadhaften Gefäße vernarben häufig. Dabei entsteht narbiges Bindegewebe, das mit dem Glaskörper verbunden ist und sich wie eine Schicht vorne auf die Netzhaut legt (epiretinale Gliose). Das Gewebe zieht sich mit der Zeit zusammen. Dabei entstehen Zugkräfte (eine Traktion) zwischen Glaskörper (Corpus vitreum) und Netzhaut (Retina), die eine zug-bedingte Netzhaut-Ablösung bewirken können (vitreo-retikuläres Traktionssyndrom, VRTS). Setzt die Traktion netzhaut-seitig an der Makula, der zentralen Region des scharfen Sehens an, ist die Sehkraft besonders gefährdet. Man spricht dann vom vitreo-makulären Traktionssyndrom (VMTS).

Akut-Symptome

Eine Netzhaut-Ablösung kündigt sich nicht zwingend durch vorausgehende Sehstörungen an. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Ablösung nur kleinere Bereiche am Rand der Netzhaut und damit das äußere Gesichtsfeld betrifft. Als Vorwarnsymptome können getrübtes oder verzerrtes Sehen, ein eingeengtes Gesichtsfeld, die Wahrnehmung flocken-, faden- oder netzartiger Strukturensowie meist mit Blickbewegungen einhergehende Blitze auftreten. Eine großflächige akute Netzhaut-Ablösung schildern Betroffene in der Regel so, als ob sich ein grauschwarzer Balken, ein dunkler Vorhang von oben oder eine Mauer von unten her ins Blickfeld schiebt. Ablösungsbedingte Netzhautblutungen äußern sich visuell als Schwarm dunkler Flecken (Rußregen). Anmerkung: Auch im Rahmen einer aus medizinischer Sicht harmlosen Glaskörpertrübung können Mückenschwärme (Mouches volantes) als Symptom auftreten.

Auswirkungen auf das Sehvermögen bei bleibenden Schädigungen

Je früher eine Netzhaut-Ablösung erkannt und behandelt wird, um so größer ist die Chance, dass keine dauerhaften Seheinschränkungen zurückbleiben. 50 bis 70 % aller Betroffenen suchen jedoch erst dann ärztliche Hilfe, wenn die Ablösung bereits die Netzhautmitte (Makula) und damit das zentrale Gesichtsfeld mit der Region des scharfen Sehens erfasst hat.

Nützliche Hilfsmittel und Arbeitstechniken

Die bleibenden Seheinschränkungen infolge einer Netzhaut-Ablösung sind von Person zu Person äußrst unterschiedlich. Deshalb darf sich die Empfehlung sehbehinderten- bzw. blindenspezifischer Hilfsmittel und Arbeitstechniken nicht am Krankheitsbegriff orientieren. Vielmehr müssen Hilfsmittel und Arbeitstechniken auf das aktuelle Sehvermögen - vor Allem Sehschärfe und Gesichtsfeld - sowie die individuellen Anforderungen am Arbeitsplatz zugeschnitten sein. Dies bedeutet auch, dass Sehhilfenanpassungen und Hilfsmittelberatungen nach einer Veränderung des Sehstatus oder des Tätigkeitsprofils unbedingt wiederholt werden sollten. Die folgenden Aussagen sind deshalb nur als allgemeine Leitsätze zu verstehen und ersetzen in keinem Fall eine individuelle Low Vision- oder EDV-Beratung:

Behandlung

Eine Netzhaut-Ablösung lässt sich nicht medikamentös, sondern nur chirurgisch behandeln.

  • Sehr kleine Risse oder Löcher, die als Vorboten einer Netzhautablösung gelten können, lassen sich mittels Laser erzeugter Hitze (Photokoagulation) oder über Kälteeinwirkung (Kryopexie) Behandeln. Die Risse und Löcher bleiben dabei zwar bestehen, aber um die Stellen herum bildet sich durch die hitze- bzw. kälteverursachte Verödung Narbengewebe, das die beiden Netzhautschichten fest miteinander verbindet.
  • “Buckelchirurgie“: Bei dieser klassischen, nur bei einfachen Fällen erfolgversprechenden Operation, wird eine buckelförmige Plombe unter der Bindehaut von außen auf die Lederhaut des Auges aufgenäht. Diese erzwungene Eindellung des Augapfels beseitigt die auf die Netzhaut wirkenden Zugkräfte und drückt die Sehzellschicht wieder auf ihre Unterlage.
  • Vitrektomie: Bei einer großflächigen Netzhaut-Ablösung wird im Rahmen einer Operation zunächst der Glaskörper entfernt (Vitrektomie), damit keine Zugkräfte mehr auf die Netzhaut einwirken. Danach wird das Augeninnere mit Gas oder Silikonöl unter einen kontrollierten Druck gesetzt, damit die Netzhautschicht der Lichtsinneszellen wieder mit der sie ernährenden Unterlage, dem Pigmentepithel, in Kontakt kommt. Ist nach einigen Wochen die Sogwirkung des Pigmentepithels ausreichend wiederhergestellt, hat die Gas- bzw. Öltamponade ihren Zweck erfüllt. Gas wird vom Augengewebe aufgenommen, Öl muss im Rahmen einer zweiten Operation innerhalb von 2 bis 7 Monaten wieder entfernt werden.

Zahlen und Fakten

In der Gesamtbevölkerung wird die Häufigkeit einer Netzhaut-Ablösung auf 0,2 % geschätzt. Von den stark kurzsichtigen Personen sind bis zu 7 % betroffen. Insgesamt ereignen sich pro Jahr in Deutschland etwa 8 000 Fälle von Netzhaut-Ablösung.

Weiterführende Informationen

Augenheilkundliches Hintergrundwissen

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